Seit gestern Abend ist es nun bestätigt, was wir und nahezu alle anderen ESC-Blogger längst vermutet hatten: Jon Ola Sand, der verantwortliche Supervisor der EBU (European Broadcasting Union) für den Song Contest, hat uns am Samstagabend ein falsches Jury-Ergebnis verkauft.
Jon Ola Sand, hinter dem Hochsitz eines Oberschiedsrichters, verkündete vor der Bekanntgabe des Juryvorings in der Finalshow: „Tatsächlich ist alles in Ordnung. Wir haben von den 41 professionellen Jurys ein Ergebnis. Sie haben korrekt abgestimmt.“ (siehe Titelbild).
Gestern ruderte die EBU mit einem über ihre Website verbreiteten Statement zurück: EBU issues statement on Eurovision 2019 Grand Final jury result heißt es da lapidar – in Wirklichkeit verbirgt sich dahinter ein offensichtliches Totalversagen aller beauftragten Beraterfirmen, internen Kontrollen und teuer bezahlten Notare.
„Menschliches Versagen“ wird als Quelle des Fehlers benannt und direkt auf die mitarbeitenden Firmen digame (Televoting) und den Wirtschaftsprüfern von Ernst & Young gezeigt.
Was war passiert?
Nach dem ersten Semifinale wurden von Seiten der weißrussischen Jury Details ihres Abstimmungsverhaltens an die Presse weitergegeben. Dies verstößt gegen das Reglement und führt zur Disqualifikation der Jury.
Diese Disqualifikation war bereits vor dem Grand Final am Samstag um 18:42 MESZ zum Beispiel auf dem WhatsApp-Kanal von eurovision.de bekanntgegeben worden.
Wenn eine Jury ausgeschlossen wird, wird mit einem Algorithmus eine Ersatzwertung generiert. Einbezogen werden in diese Berechnung eines fiktiven Ergebnisses andere teilnehmende Länder, deren Wertungen der des disqualifizierten Landes traditionell sehr ähnlich sind und die bei der Auslosung der Semifinalplätze deshalb auch in einem Lostopf landen. Im Falle Weißrusslands sind das Aserbaidschan, Georgien, Russland und Armenien.
Soweit schon schwierig genug! Doch was dann im Finale als Ergebnis aus Weißrussland gezeigt wurde, nämlich dass 9 der 10 Punktewertungen an die rechte Hälfte des Scoreboards gingen, ließ schnell die Vermutung aufkommen, dass etwas an diesem Voting nicht stimmen konnte. Denn dort rechts sind all jene Länder, die bis dahin kaum Punkte zuerkannt bekommen hatten.
Der portugiesische Fan Bruno führt die EBU vor
Und so geht der Pulitzerpreis der ESC-Berichterstattung eindeutig an den portugiesischen Twitteruser Bruno, der mit einem Tweet seine Überprüfung des Ergebnisses veröffentlich hatte. Er wies nach, dass anscheinend das so berechnete Ergebnis in verkehrter Reihenfolge in die Wertung einfloss. Also mit 12 Punkten an Israel an den Song, der in der Berechnung des Ersatzergebnisses am schlechtesten abgeschnitten hatte.
Dass eine solche Umkehrung der Reihenfolge nach eigenen Aussagen mindestens zwei weiteren Jurorinnen „passiert“ war, nämlich einer aus Schweden und einer aus Tschechien, hat immerhin auch Polen um den Finaleinzug gebracht. Das ist jedoch tatsächlich Unvermögen oder Dummheit, also menschliches Versagen, das leider passieren kann. Darauf hat die EBU wenig Einfluss – da haben anscheinend die betreuenden Fernsehanstalten ihre Jurymitglieder nicht vollständig und idiotensicher eingewiesen.
Dass jedoch bei der Berechnung des Ergebnisses des Grand Finals ein Fehler erst nach 4 Tagen eingeräumt wird – nachdem sich zunächst die halbe ESC-Welt gewundert hat und schließlich ein Fan der EBU ihr Versagen vorrechnete – das können wir nur als absolutes Armutszeugnis der EBU kommentieren.
Die Folgen
Leider hat sich die EBU in ihrem Statement nicht dazu geäußert, warum sie darüber hinaus den Zuschauer*innen und Fans durch Jon Ola Sand die Unwahrheit gesagt hat, als sie allen Jurys Korrekte Arbeit attestierte, obwohl zu dem Zeitpunkt bereits eine Disqualifikation bekannt war. Das ist ein weit heftigeres Versagen als Madonnas Stimme zu Ende der Show. Woanders wären personelle Folgen unausweichlich.
Für manche Länder hat sich durch die Neuberechnung natürlich etwas geändert. Deutschland ist einen Platz weiter nach hinten gerutscht – die 8 Punkte der vermeintlichen weißrussischen Jury waren immerhin das höchste Ergebnis. Die S!sters schließen vor Großbritannien auf Platz 24 ab.
Nordmazedonien hat die Jurywertung gewonnen und kann sich um einen Platz verbessern.
Norwegen bleibt natürlich Publikumsliebling, landet jedoch nur noch auf Platz 6.
Zypern und Malta ziehen an Frankreich und Slowenien vorbei auf den 13. und 14. Platz.