Der dritte Probentag: vom Wert guter Inszenierungen

Bisher verschlossene Türen öffnen sich und das Pressezentrum verdoppelt sich wie von Zauberhand am 3. Probentag. Langsam, aber sicher rücken die Finalshows in Sichtweise – bis zur ersten Fernsehshow ist es nur noch eine Woche.

Norwegen

Routiniert, noch nicht alles gebend, und bei einem Problem mit seinem In-Ear-Monitor souverän reagierend – an der Vorstellung in der ersten Probe von Alexander Rybak stimmte alles und doch ist der Sieger von 2009 in diesem Jahr kein Top-Favorit – das Lied ist zwar erfreulich selbstironisch: That’s How You Write A Song, aber dann eben doch zu glatt, um den Funken – trotz des charmanten Lächelns und der Geige – wirklich zünden zu können.
Und doch wird Norwegen in diesem Jahr mit diesem Lied oben mitspielen, denn der Song symbolisiert wie wenig andere Lieder jugendliche Unbekümmertheit und positive Ausstrahlung.
Rybak braucht keinen perfekten Song, um Punkte zu holen – er tut dies mit Charisma. Sein Auftritt, vom norwegischen Vorentscheid unverändert übernommen, setzt durch eingeblendete Projektionen Akzente, lebt aber vor allem von Rybaks Minenspiel, das jedes Mal so wirkt, als käme es natürlich und spontan.

Alexander Rybak | © Marc Schulte

Das Meet&Greet  bot aber auch Einblicke in das Leben des ESC-Siegers, der beschreibt, wie schwierig es für ihn ist, den Alltag normal zu meistern. Auch beim normalen Einkaufen müsse er damit rechnen, erkannt zu werden und dann wolle er, auch wenn er schlecht drauf sein, positive Energie ausstrahlen. Dazu müsse er sich manchmal zu Hause vor dem Gang in die Stadt selbst motivieren. Heute hatte er wohl Schwierigkeiten mit der Motivation – seine Interviewtermine hat er abgesagt.

Rumänien

Rumänien sagt Goodbye. Bei der Inszenierung der Gruppe The Humans spielen Masken und Schaufensterpuppen eine wichtige Rolle: das Intro verspricht viel, doch es folgt letztendlich doch nur eine austauschbare Rocknummer, obwohl die Botschaft bedeutend sein soll: Viele von uns benehmen sich wie Roboter und es gelte, die Menschlichkeit zurückzuholen. Und dann gab es noch eine Anleitung zum Headbanging.

Cristina Caramarcu von The Humans | © Marc Schulte
Serbien

Aleksander Sanja Ilić und seine Gruppe Balkanika bringen uns drei Göttinnen auf die Bühne, die bedeutungsschwere Bewegungen mit balkanesken Weisen bieten, unterstützt von Trommeln und Panflöte – von der Presse nur zurückhaltend aufgenommen.
Der Komponist Ilić selbst ist nicht auf der Bühne. Den Text zum Lied  hat Ilićs Frau Tanja mitgeschrieben Und von ihr erfahren wir eine  pseudoreligiöse Botschaft, dass die Liebe, die neue Kinder (Nova Decca, so der Titel) produziert, die einzige Möglichkeit sei, diese Welt der Luftverschmutzung zu retten. Nur wenn wir alle gut handeln, gibt es eine Chance…oder so ähnlich.

Balkanika | © Marc Schulte
San Marino

Wer San Marino vertreten darf, wurde dieses Jahr in einem reinen Online-Vorentscheid entschieden. Bewerben konnten sich alle, und nur wer „Anteile“ (Minimum 2 Euro) seines Liedes kaufte, konnte abstimmen: Und so haben wir eine Malteserin Jessika Muscat, die zusammen mit der Berlinerin Jenifer Brening auftritt. Zusammen singen sie Who We Are und damit das dritte Lied in diesem Jahr zum Thema Bullying: Du kannst sein, was du willst und am Ende jedes Tunnels kann Licht sein. Seht einfach her, wer wir sind.

Jessika (li) und Jenifer Brening | © Marc Schulte

Diese Mut machende Botschaft soll durch kleine tanzende Roboter auf der Bühne verstärkt werden, denn die Roboter stehen für die Gesellschaft, mit der man agieren müsse. Das allerdings kam in der Probe nun leider überhaupt nicht rüber, zumal einer der Roboter mit hochgehaltenen Spruchtafeln („Marry Me“, „I’m not your robot“) für große Erheiterung sorgten, was allerdings auch das Beste ist, das dem mediokren Song passieren kann.

Dänemark

Sechs Dänen in dunklen Gewändern segeln Richtung Süden und erobern Europa; dabei wird die weiße Flagge geschwenkt. Der namensgebende  Leadsänger Rasmussen weiß, dass er mit dem Lied Higher Ground den Massengeschmack trifft. Die unsanfte Weise bewegt sich vom an Loreens Euphoria angelehnten Intro zu einer an die Filmmusik von Games of Thrones erinnernde martialischen Stampfhymmne, die sich bösartig ins Ohr schraubt, während wir gedanklich in Schweiß gebadet an den Galeeren-Rudern ziehen.

In der Pressekonferenz folgt die Wandlung der gewalttätigen Wikingern zu gut gepflegten charmanten dänischen Bürgern, die nur Frieden im Sinne haben und Bartpflegetipps geben.

Schuhe putzen?! – Nichts für echte Wikinger | © Marc Schulte
Russland

Für Russland ist das Abschneiden beim Eurovision Song Contest schon seit langem auch eine politische Frage. Nachdem im letzten Jahr Julia Samoylova in Kiew wegen der Krimfrage nicht antreten durfte, darf sie es jetzt mit dem Lied I Won‘ t Break. Die auf den Rollstuhl angewiesene Sängerin möchte damit ihren Durchhaltewillen und ihre Einstellung zum Leben teilen.

Doch die Inszenierung ist für russische Verhältnisse alles andere als überzeugend. Nach einem Jahr Vorbereitung präsentiert sie die Sängerin im Dunkeln auf einem merkwürdigen Gebilde, das in einer Schulaufführung vielleicht als Eisberg durchgehen könnte. Julia sitzt auf diesem Berg, von dem sie das Geschehen überblickt und einem Pas de deux zuschaut, der ihre Geschichte erzählt. Doch die Präsentation erzeugt keine Gefühle, kein Interesse und selbst stimmlich wetteifern Julia und eine ihrer Backing Vocals um die ungenauere Stimme. Will Russland scheitern und sich danach aus dem Contest zurückziehen? Unverständnis im Pressezentrum.

Julia Samoylova | © Marc Schulte
Moldawien

Große Begeisterung im Anschluss: Moldawien überrascht alle: Das Trio DoReDoS zeigt zu seinem Song My Lucky Day den Wert einer wirklich gelungenen Inszenierung: Ein Verwechsel- und Bäumchen-Wechsle-Dich-Spiel in Mozart’scher Manier lässt Türen öffnen und schließen, Männer in Stöckelschuhen tanzen und die Qual der Partnerwahl als großen Spaß erscheinen.  Ein bislang unbeachteter konventioneller Song blüht hier stimmlich und choreographisch perfekt zum Fanfavoriten auf.

Diese Aufwertung ist auch kein Zufall, denn dahinter steckt Filipp Kirkorow, der Ralph Siegel Russlands, der aber, anders als sein deutscher Kollege, immer noch sehr erfolgreich ist, sowie einem ESC-erprobten russisch-schwedisch-griechischen Team.

Die drei DoReDoS (italienische Tonleiter!), die ihre Karriere auf Hochzeiten begann, ist auf jeden Fall überglücklich und kann äußerst zufrieden sein.

Die DoReDoS haben Spaß | © Martin Schmidtner
Die Niederlande

Auch bei Waylon scheint die ESC-Droge gewirkt zu haben. Und so ist er nach vier Jahren wieder dabei und hat mit rockig-harter Country-Music ein Alleinstellungsmerkmal. Outlaw In ‚Em ist sein Titel, mit dem er für die Niederlande antritt. Er will wie Sobral „echte Musik“ von „echten Musikern“ beim Song Contest präsentieren – spaßig, dass sich auf der Bühne die mitgebrachte „Band“ dann im Lauf des Liedes als wilde Krumping-Dance-Company entpuppt. Krumping ist ein neuer Freestyle-Dance, der in der  afroamerikanischen Community LAs geprägt wurde – ein durchaus spannender Kontrast zum Country-Style.
Mit selbstbewusster Arroganz lässt er unsere dummen Fragen über sich ergehen – immerhin antwortet er anders als in Kopenhagen ausführlich im breitesten Texanisch und versteckt sein Gesicht nicht mehr hinter Hut und Sonnenbrille.
Und wir wissen jetzt, dass er Cappuccino mag.

Kein Mangel an Selbstbewusstsein: Waylon | © Martin Schmidtner
Australien

Mit Australien endet der dritte Probentag vermeintlich flott. Doch Jessica Mauboy schafft es mit ihrer Performance zu We Got Love die hohen Erwartungen an das australische Lied nicht zu erfüllen.Grenzenlose Enttäuschung im Pressezentrum!

Ein Knallbonbon an Temperament: Jessica Mauboy | © Martin Schmidtner

Völlig hektisch hummelt sie wie ein bunter Knallbonbon über die Bühne. Wieder ist alles extrem dunkel ausgeleuchtet und die ganze Choreo ist auf eine winzige Club-Bühne angelegt, in der die Sängerin beständig direkten Kontakt mit dem Publikum um sich herum hat.
Für die große Bühne hier in Lissabon ist es jedoch eine grandiose Fehlentscheidung und weder der Funke ihres mitreißenden Songs, noch ihre tolle Stimme und unglaublich sympathische Ausstrahlung springen auf das Publikum über.
„Jess“ war 2014 der Zwischenact in Kopenhagen, mit dem sich Australien um die Aufnahme in die ESC-Familie bewarb. Als Angehörige der australischen First Nation ist sie ein Aushängeschild australischer Diversity. Nach ihren Lieblingtieren befragt, erwähnt sie Koalas, Kängurus und Wombats, um dann voll Begeisterung von Salties zu erzählen und auf der Bühne deren Länge von mehr als 5 Metern zu demonstrieren – tough!

Beenden wir den dritten, oft enttäuschenden Probentag mit einer Hommage an die Supporting Artists, die wie die von Moldawien allzu oft hinter Wänden oder im Hintergrund zurückbleiben:

Er tanzt für Moldawien | © Martin Schmidtner

 

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