Mit großer Begeisterung hat die ESC-Community im vergangenen Mai den Sieg Salvador Sobrals für Portugal aufgenommen: immerhin war Portugal bis dahin beim Song Contest leer ausgegangen, umso mehr gönnten alle dem Land diesen Erfolg – bedeutete dies für die Fans doch zudem, eine neue Austragungsstadt erkunden zu können, bei mediterranem Frühlingswetter statt nordischer Kälte.
Gleichzeitig ist Portugal eines von der Krise seit Jahren extrem gebeuteltes Land: ein schweres Unterfangen also einerseits, das durchaus teure Mega-Event zu stemmen, andererseits aber auch eine perfekte Gelegenheit, Werbung für den Portugal-Tourismus zu platzieren.
Wie würde dieser Spagat gelingen?
Bald wurde klar: „Downsizing“ wurde zum Programm. Alles um den Song Contest herum sollte etwas kleiner und bescheidener werden, bei gleicher Wirkung für die TV-Show. Die EBU (die European Broadcasting Union als Dachorganisation) verfolgt dies seit mehreren Jahren und Portugal scheint dies gelegen gekommen zu sein.
Das bedeutete erst mal weniger akkreditierte Presse und weniger Akkreditierungen und Angebote für Fans. Auch das Ticketangebot der Fanclubs wurde eingeschränkt und das eigentlich sehr gut funktionierende Ticket-Kauf-System bot allerlei merkwürdige Überraschungen. Wir selbst warteten beispielsweise beim letzten Verkaufstermin mehr als 4 Stunden in der Warteschleife, um dann beim Aufruf unserer virtuellen Wartenummer nicht mal mehr ein Ticket fürs Jury-Finale zu bekommen. Andere, mit schlechterer Wartenummer konnten eine Stunde später plötzlich wieder Tickets kaufen.
Das große Dilemma kündigte sich aber mit der Rahmenprogramm-Politik an. Der Euroclub, traditioneller Treffpunkt von Delegationen, Presse und Fans am Abend wird erst am Sonntag, dem 6. Mai eröffnet. Dabei war er in den vergangenen Jahren besonders in der ersten der beiden Probewochen besonders beliebt, als Besucherzahlen noch überschaubar waren und tatsächlich Gelegenheiten entstanden, mit anderen in Kontakt und ins Gespräch zu kommen.
Fans waren von diesem Club schon des öfteren ausgeschlossen, fanden jedoch im Euro-Café einen gern genutzten Anlaufpunkt. Doch auch hier gab es viel Enttäuschung in diesem Jahr. Der Fanclub-Dachverband OGAE musste das Café selbst auf die Beine stellen und fand auch keine Lokalität in ausreichender Größe.
Tagsüber soll es zwar freien Zugang für alle zum Café geben, für die wichtigen Abende jedoch wurden pauschal Wochenpässe verkauft, so dass nur etwa die Hälfte der 3000 interessierten Fans einen solchen ergattern konnte und kein Mensch vorhersagen kann, wie gut das Café wirklich angenommen werden wird.
Das Highlight eines jeden Song Contest, die OGAE-Party mit einem großartigen Line-Up extrem vieler der anwesenden Künstlerinnen und Künstler wird diesmal für viele OGAE-Mitglieder unzugänglich bleiben.
Doch nach diesem Jammern, das den meisten, die eh ganz zu hause bleiben müssen, relativ egal sein dürfte, hier die positiven Eindrücke:
Extrem freundlich und warmherzig wurden wir bisher hier empfangen. Die Akkreditierung – seit gestern geöffnet – verlief gut organisiert und reibungslos.
Die Stadt ist zwar noch nicht durchgehend „gebrandet“, das heißt es hängen noch nicht an jeder Ecke Fahnen oder Plakate, aber wir haben Taxis mit Logo-Branding entdeckt und auf dem wichtigsten Platz der alten Seefahrer-Nation, dem zum Meer hin offenen Handelsplatz (Praça do Comércio), wehen bereits die Fahnen aller teilnehmenden Nationen. Hier soll dann in der nächsten Woche auch das Eurovision-Village mit seiner großen Bühne und LED-Wand seine Pforten öffnen.
Das Motto All Aboard (alle an Bord) spiegelt dieses Verhältnis zum Meer wieder und begegnet uns hier überall: als ESC-Taschen gibt es kleine Baumwoll-Seesäcke, der Rote Teppich wird hier ein blauer sein und direkt am Meer ausgerollt werden und natürlich befindet sich in jedem Seesack auch eine blau-weiße typische Azuleijo, eine Kachel mit einem bemalten Motiv des 19. Jahrhunderts. – Tradition wird hier großgeschrieben und so wird wohl auch der Fado seinen gebührenden Platz im Programm des Contests finden.
Gänzlich unbescheiden wirbt der Tourismus-Verband für Portugal als „Leading Destination“, eine Auszeichnung die 2017 bei den World Travel Awards an Portugal ging).
Doch zurück zum Downsizing: das Pressezentrum platzt absolut ungewohnt bereits am ersten tag aus seinen Nähten. Wir können uns an kein kleineres in den vergangenen 10 Jahren erinnern. Wir hoffen sehr, dass es auch in der zweiten Woche noch „All Aboard“ heißen kann und niemand draußen bleiben muss.
Willkommen an Bord und viel Glück. Bin gespannt auf eure Eindrücke und Meinungen.