Keine Risiken, keine Nebenwirkungen: unser Beipackzettel zum ersten Semifinale

Am heutigen Abend entscheidet sich im ersten Semifinale des Lissaboner Contests, welche 10 Finalisten am Samstag noch an Bord sein werden.

Die Songs

01) Aserbaidschan

Aisel: X my heart

Aisel (2.v.li.) mit Backing-Vocals | © Martin Schmidtner

Hoch hinaus auf die Berggipfel geht es im ersten Beitrag des Abends. Weiß wird die Liebe besungen mit den für Aserbaidschan so wichtigem Bild des Feuers – dem Symbol des Landes. So gestrickt, dass es für das Finale reicht – denn es ist ja Aserbaidschan, auch wenn Aisel die Töne nicht trifft.

02) Island

Ari Ólafsson: Our Choice

Ari | © Martin Schmidtner

Das Rote stellt die Lava dar, die aus dem Eis herauszubrechen droht. Doch beim smarten jungen Johnny-Logan-Double bleibt die Eisdecke leider stabil –  trotz eines Liedes, in dem wir alle aufgerufen werden zu helfen und zu heilen.
Auf der Bühne funkeln Christbaumkugeln, aber die Bescherung dürfte für die am Contest begeisterte Insel dürftig ausfallen.

03) Albanien

Eugent Bushpeppa: Mall

Albanien | © Martin Schmidtner

Eine Stimme, die einen sprachlos macht: Albanien bietet jedes Jahr stimmliche Glanzleistungen. Und ohne Frage kauft man dem Sänger ab, dass er über den Umgang mit einer unerwiderten Liebe klagt. In Maßstäben von Gerechtigkeit muss das ins Finale.

04) Belgien

Sennek: A Matter of Time

Sennek | © Martin Schmidtner

Eine James-Bond-Melodie aus Belgien setzt den Reigen fort. Ganz in Schwarz warnt Sennek davor, dass es nur eine Frage der Zeit sein könnte, bis alles zerbricht. Die Liebe oder die Erde als Ganzes – das ist interpretatorisch freigestellt. Auf jeden Fall will sie dagegen halten. Nur ihre Stimme brach in den Proben etwas zu oft.

05) Tschechien

Mikolas Josef: Lie to me

Mikolaus Josef | © Martin Schmidtner

Mikolas Josef verletzte sich in den Proben und insofern musste er seine Inszenierung abrüsten – das schadet dem flotten Lied, dass die Liebe zur Schulschönheit beschreibt, die eh nicht glücklich enden kann. Doch Mikolas‘ Charme sorgt für den Finaleinzug.

06) Litauen

Ieva Zasimauskaite: When we’re old

Ieva | © Martin Schmidtner

Am Ende küsst die Sängerin ihren Mann, der ja eigentlich nicht auf die Bühne wollte („Er ist doch ein Mann!“) Im Lied wird die lebenslang intensiv andauernde Liebe beschworen. Kein Knallbonbon beim ersten Hören, aber eine tolle Stimme – Finaleinzug wünschenswert!

07) Israel

Netta: Toy

Netta im Hochzeitskleid. Die männliche Brautjungfer streut Teddybären statt Blumen | © Martin Schmidtner

„Ich bin nicht dein Spielzeug, du dummer Junge!“ Mit dem Beitrag aus Israel haben wir die ESC-Antwort auf die #MeToo-Debatte. Gute Laune ist mit den Grinsekatzen garantiert. Ohne Frage im Finale!

08) Belarus

Alekseev: Forever

Strahlend ohne Rose: Alekseev | © Martin Schmidtner

Wer dachte, Rosen seien ikonographisch und inszenierungstechnisch bereits ausgereizt, wird bei der weißrussischen Inszenierung eines Besseren belehrt. Eine Rose kann überreicht und geschossen werden, Rosen können explodieren und in die Haut eindringen – oder daraus wie ein Krebsgeschwür hervorwachsen?  Dazu das strahlend weiße Lächeln des Sängers, für das garantiert ein Dentist tätig war. Kein Finaleinzug!

09) Estland

Elina Nechayeva: La forza

Elina hat Forza auf ihrem Rock gestickt | © Martin Schmidtner

Opernarie als Schmalzvollbad: Startplatz 9 mit einem Staging, das zwar bereits in früheren Jahren verwendet wurde, aber dennoch das musikalisch einfallslose neue Produkt im Reigen aller Popera-Versuche an die Spitze spülen könnte, wenn die Jurys völlig versagen sollten. Und keinesfalls vergessen: Die Nechayeva ist Koloratur-Sopran – und darauf legt sie Wert!

10) Bulgarien

Equinox: Bones

Equinox-Frontfrau Zhana Bergendorff | © Martin Schmidtner

Sehr dunkel und mystisch präsentiert sich Bulgarien, aber eine Liebe die über die Knochen hinaus bis in die Seele reicht, ist eben auch thematisch nahe an der Kälte eines Obduktionssaals. Wodurch das sehr künstlich wirkende Musik-Produkt seinen Favoritenstatus erlangen konnte, vermag uns nicht einzuleuchten. Aber wir werden es im Finale nochmal hören.

11) Mazedonien

Eye Cue: Lost and found

Eye Cue | © Martin Schmidtner

„Come and take me“ – die ersten vier Wörter sind Programm für das ganze Lied, dass durch seine dreiteilige Struktur mehr verwirrt als begeistert und leider zeigt, wie wichtig Lieder wie das israelische sind. Und der früher so beliebte Kleiderwechsel macht es dann auch nicht gerade zeitgemäßer, zumal es heißen könnte: Barbara-Dex-Award (nach dem ESC verliehene Ehrung für das geschmackloseste Kostüm) statt Finaleinzug.

12) Kroatien

Franka: Crazy

Franka | © Martin Schmidtner

Verrückt nach jemanden zu sein, das ist beim ESC keine Besonderheit. Und diesmal besingt die kroatische Sängerin Franka diesen Zustand und füllt  ganz alleine die Bühnedas verdient wie ihr Gesang selbst durchaus Anerkennung, aber für das Finale ist der Song zu beliebig und wenig erwärmend.

13) Österreich

Cesár Sampson: Nobody but you

Cesár | © Martin Schmidtner

Österreichs Sänger kommt mit einem Raumschiff auf die Erde und will seine Liebe zurückgewinnen – verstärkt mit einem Gospelchor, den er leider vor der Kamera versteckt. Österreich würde mit einem Startplatz am Donnerstag im 2. Semifinale ganz sicher das Finale erreichen – heute könnte er der Favoritenballung im ersten Semifinale zum Opfer fallen.

14) Griechenland

Yianna Terzi: Oneiro mou

Yianna | © Martin Schmidtner

Pathetisch, nationalistisch und wie ein Rückschritt auf Beiträge von vor über 20 Jahren präsentiert Griechenland seine Ode auf Volk und Heimat. Die blaue gehobene Hand symbolisiert Griechenland. Trotz schöner Stimme und Anhängerschaft in Fankreisen und trotz Zypern im selben Halbfinale sehen wir es nicht im Finale.

15) Finnland

Saara Aalto: Monsters

Saara Aalto | © Martin Schmidtner

Freunde dich mit den Monstern unter deinem Bett an und lebe dein Leben, so wie du es willst. Die offen lesbische Sängerin Saara verarbeitet in ihrem Lied  auch ihre Coming-Out-Geschichte. Stolpersteine auf dem Weg ins Finale sind für die Fanfavoritin jedoch das Outfit der Tänzerinnen und Tänzer, die Über-Inszenierung sowie stimmliche Schwankungen.

16) Armenien

Sevak Khanagyan: Qami

Sevak | © Martin Schmidtner

Windig ist es in Armenien. Und deswegen wird bei Einsamkeit natürlich auch der Wind beschworen. Man möchte dem sympathischen Sänger gerne beistehen, aber letztendlich wird der Finaleinzug wohl von der Stärke der armenischen Diaspora-Stimmen entschieden werden.

17) Schweiz

ZiBBZ: Stones

ZIBBZ | © Martin Schmidtner

Die Schweiz bezieht das Publikum mit ein: wer jemals in seinem Leben von jemand anderem verletzt wurde, soll sich melden. In dem rockigen Lied gegen Bullying wird Position bezogen und jede durch ihr Lied vermiedene Beleidigung oder Herabsetzung sei bereits ein großer Erfolg ihres Liedes, so die Sängerin Coco. Die Schweiz hat mit einem Relaunch ihrer nationalen Auswahl und mit einer wirkungsvollen Bühnenshow alles getan, um das Finale erreichen zu können – und Cocos Bruder Stee trommelt was das Zeug hält. Es besteht immerhin eine Chance aufs Finale.

18) Irland

Ryan O’Shaughnessy: Together

Ryan, umrahmt von seinen Tänzern | © Martin Schmidtner

Eine traurig-schöne Ballade: Das langsame Zerbrechen einer Liebe, die doch so angelegt war, das sie erst durch den Tod beendet werden sollte, wird  ungläubig und verzweifelt beklagt. Und weil die Liebe universell ist, tauscht Ryan gefühlvolle Blicke mit der Pianistin, während im Hintergrund zwei Männer mit einem Pas de Deux in den für ihre Liebe kalten Winter tanzen. Unser Kandidat Michael hat den Song in einem Interview zu seinem persönlichen Favoriten erklärt und wir mögen ihn auch – aber ob beides fürs Finale reicht?

19) Zypern

Eleni Foureira: Fuego

Eleni | © Martin Schmidtner

Ein „Journalist“ fragt die zypriotische Sängerin, was denn „Yeah, yeah, yeah, Fuego“ in ihrem Lied heißen würde. Nachdrücklich und wie zu einem Kind antwortend sagt Eleni Foureira: „Yeah, Yeah, Yeah, fire“ – ein Beispiel des Niveaus mancher Fragen an die ESC-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer!
Das Lied handelt natürlich vom Feuer der Liebe, das mit einer unglaublich feurigen und perfekt synchronen Choreo zum Ausdruck gebracht wird, die die Fans zum Toben bringt. Mittelmeerpop mit sicherem Finalplatz!

Die Show

Wir können für heute Abend eine extrem große Spannung versprechen. Seit Wochen sind sich alle Fans und Experten einig, dass sie am liebsten 15 Acts des heutigen ersten und dafür nur 5 des zweiten Semis vom kommenden Donnerstag ins Finale schicken würden – nicht nur, dass im ersten 19 Titel um 10 Startplätze kämpfen – im zweiten Semi stehen nur 18 Acts am Start -, sondern es befinden sich nahezu alle Favoriten geballt im ersten Semi.
Das wird den Reiz des Abends ausmachen.

Ansonsten gibt sich Portugal große Mühe, eine tolle Show zu präsentieren, aber große Höhepunkte können wir nicht versprechen.
Einzig eine musikalische Ehrung des Vorjahressiegers Salvador Sobral hat uns von ganzem Herzen überzeugt.

Stimmberechtigt sind heute Abend neben den teilnehmenden Ländern die Gastgeberin Portugal sowie aus den Big 5 Spanien sowie Großbritannien. Deren Vertreter und Vertreterinnen werden auch anwesend sein und ein Ausschnitt aus deren Songs wird dem Publikum schon einmal vorgestellt werden.

Alle an Bord! | © EBU

Die vier durch den Abend geleitenden Moderatorinnen wirken engagiert und charmant, aber große Überraschungen bietet ihnen das Skript nicht.
Allein das vom Motto All Aboard (Alle an Bord) geleitete Gesamtkonzept hat uns überzeugt: Die extrem große runde Bühne liegt wie eine Insel im Meer, die Rückwand sieht aus wie eine Welle, die auf Bühne und Halle zurollt. Statt mit Pyrotechnik wird der Song Contest durch ein Schiffshorn eröffnet, junge Männer in kurzen Höschen im Matrosenlook sind als Assistenten der Moderatorinnen eingesetzt.

Viele mehr oder weniger spaßige Gespräche im sogenannten Green Room – wie in den Vorjahren im Publikum angesiedelt – und der Rest ist Portugal-Marketing. Die Postcards, also die Einspielfilmchen vor jedem Auftritt, wurden an den verschiedensten Orten Portugals und seiner Archipele gedreht. Und den Auftakt zur Live-Show bildet nach der Eurovisions-Fanfare eine Werbevideo für Lissabon, das wohl jede Sehenswürdigkeit und Spezialität Lissabons sehr gekonnt ins rechte Bild rückt. (Nur das eigentlich Außergewöhnliche, das jeden Touristen am ersten Tag auffällt und erstaunt, nämlich der unfassbar offene und kaltschnäuzige Betäubungsmittelhandel an vielen Ecken der Stadt, bleibt ungezeigt.)

Aber wie sagte doch Salvador Sobral nach seinem Sieg in Kiew sinngemäß: es ist die Musik, die zählt.

Vorhersage

Der aufmerksamen Leserin und dem achtsamen Leser dürfte aufgefallen sein, dass nach unserer Vorstellung der Songs 13 Lieder eine Anwartschaft aufs Finale haben. Bei dreien (Irland, Armenien und Finnland) haben wir ein Fragezeichen gesetzt.

Übertragung

Das Semifinale beginnt um 21 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit – hier in Lissabon also schon um 20 Uhr.
Übertragen wird es im ARD-Sender ONE sowie in Livestreams auf eurovision.tv (dort im Originalton ohne deutschen Kommentar) und auf eurovision.de.

Auf ONE wird eine Untertitelung und eine Audiodeskription angeboten.
Im deutschen Livestream gibt es die Koppelung mit Social Media Kanälen, sowie Audiodeskription und deutsche Gebärdensprache.

 

 

Eine Antwort auf „Keine Risiken, keine Nebenwirkungen: unser Beipackzettel zum ersten Semifinale“

  1. Sehe das wie ihr: Battle der Favoriten heute. Ich hab 13 Songs, denen ich den Finaleinzug wünsche. Aber mal sehen, wie die Live-Performances laufen, da reduziert sich die Zahl u.U. von allein …

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