Der vierte Probentag: Taboos, Stage-Diving und ein Vampir

Am heutigen vierten Probentag standen die letzten neun ersten Durchläufe für das zweite Semi auf dem Programm. Und wie oben zu sehen: erstmals mischten sich auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter die Fans im Pressezentrum: eine entspannte Eleni Foureira aus Zypern sowie die strahlenden gut gelaunten Jungs von AWS aus Ungarn. Das kommt gut und wird gern gesehen!

Georgien

Bedauerlicherweise begann der Tag mit einem Schlaflied, was am Morgen im Pressezentrum nicht das ist, was gewünscht wäre. Mit jazzig-dissonanten Wiegelied-Klängen und der altbewährten Drei-Tenöre-Methode sichert sich die Ethno-Jazz Band Iriao mit ihrem Lied For You für Georgien den Finaleinzug. Und wie üblich bei diesem Genre ist das Setting des Auftrittes getragen, erhaben und feierlich. Und auch hier im Pressezentrum gibt es genug, denen es gefällt.

Vor der Videoleinwand des Meet&Greets | © Marc Schulte

Wieviel mehr die Formation zu bieten hat, zeigt das Meet&Greet – es geht ihnen darum die georgische Musiktradition zu transportieren, für die Polyphonie und Jodelelemente stilprägend sind. Doch in der Tat basiere ihr Lied nur auf diesen Elementen, da der eigentliche Stil nur schwer in drei Minuten zu vermitteln sei. Die Neugier ist bei mir zumindest geweckt auf die eigentlich achtköpfige Band, die sich für den ESC auf fünf Personen beschränkt hat.

Polen

Genau so wenig möchte man frühmorgens in eine polnische Land-Disco an die Ostseeküste gebeamt werden, in der mit allen Mitteln versucht wird uns zum Mittanzen zu bewegen. Dazu gehören voll coole Wellenbewegungen mit den Händen, Feuerwerk und der Schrei „Jump“. Ein beleuchtetes DJ-Pult und ein schwedischer Sänger mit Hut, der die Töne manchmal tatsächlich auch trifft,könnten einen Ohrwurm implantieren, würde nicht alles provinziell wirken.

Gromee (li.) und. Lukas Meijer | © Marc SchulteÜberraschend erscheint der Sänger im Bademantel, da das Gepäck noch mitsamt der vollständigen Garderobe verschollen ist. Das Ziel der Gruppe sei es, ein Konzertgefühl zu schaffen, dass die Zuschauenden begeistert. Das Lied Light Me Up von Gromee feat. Lukas Meijer erzähle eigentlich eine traurige Geschichte, doch für den Sänger und Co-Songwriter habe das Lied jetzt eine ganz neue positive Bedeutung bekommen. Ok.

Malta

Wie viel dagegen eine gute Inszenierung bewirken kann, zeigt anschließend Malta: Das Lied Taboo von Christabelle,  u.a. geschrieben von der schwedischen ESC-Legende Thomas G:son, wandelt sich durch das Staging mit 4 mobilen LED-Wänden und einer Tänzerin von einer eher langatmigen Stampfhymmne zu einem in den Bann ziehenden Beitrag. Doch auch bei Maltas Beitrag bleibt die Grundtendenz dieses Jahres: dunkel, dunkel, dunkel….

Christabelle | © Marc Schulte

Und wieder einmal betonen die Malteser, wie wichtig der Song Contest auf dem kleinen Archipel genommen wird. Ein Traum sei wahr geworden, für den Christabelle sehr, sehr lange gearbeitet hat. Zudem bedeute ihr der Song so viel, weil es auch darum gehe, das Tabu  Geisteskrankheiten zu durchbrechen.

Ungarn

Seit Lordis Sieg beim Eurovision Song Contest gehört Rock zum Programm immer wieder dazu. Und diesmal haut Ungarn mit der Gruppe AWS und dem Song Vizlát Nyár (Der Sommer ist vorbei) so richtig rein. Neben dem üblichen gehaltvollen Schreien, Headbanging und Instrumenttraktieren wird diesmal sogar ein Stage-Diving eingeplant. Schrei dich freeeeeeeeeiiiiiiii!

Kann auch lachen: AWS-Frontmann Örs Siklósi | © Marc Schulte

Kein Wunder bei dem Thema: der anspruchsvolle Text – es geht um das Sterben – stammt aus der Feder der Band, die als Schülerband begonnen hat und sich erst im letzten Jahr um ein Mitglied erweitert habe. Sie haben sich dem Progressive-Metal verschrieben, da dabei Instrumente wichtiger als die Stimmen seien – und dann haben sie halt Schreien als Ausdrucksformen entdeckt, erklären sie schmunzelnd im Meet&Greet. Seine Stimme pflege er, so Leadsänger Örs Siklósi, mit Schlafen, Laufen und ein Gläschen Rotwein am Abend. Prost!

Lettland

In Brasilien geboren, in New York lebend und nun für Lettland antretend, Laura Rizzotto hat zwar lettische Wurzeln, lernt aber gerade erst die Sprache, die sie unbedingt auch fließend sprechen will, doch für den ESC musste sie das Lernen unterbrechen.
Ganz in Rot bietet sie uns ‚Poledance light‘ am Mikrofonständer und warnt davor, nur das Funny Girl zu sein und zugunsten einer anderen Frau zurückstehen zu müssen, wenn frau es unterlassen hat, ihm ihre Liebe zu gestehen.
Wir wissen nach der Pressekonferenz zwar, dass Lauras Instrumente Namen haben, aber macht das Song und Auftritt interessanter?

The Funny Girl: Laura Rizzotto | © Marc Schulte
Schweden

Probleme wegzutanzen, das ist die Empfehlung aus Schweden: Benjamin Ingrosso singt Dance You Off. Mit einem zielgruppenorientierten, perfekt mit einer eigens mitgebrachten LED-Wand inszenierten männlichen Animiertanz wird Schweden das Finale natürlich ohne Probleme erreichen. Bemerkenswert, dass der 20jährige seinen Song selbst vor zwei Jahren mitgeschrieben hat, als ihm gerade sein Herz gebrochen worden war.
Der Song, irgendwo zwischen den Bee Gees und Justin Timberlake, macht in der Tat gute Laune und ist somit als therapeutisches Mittel gut verwendbar. Und die Existenz von Benjamin ist auch dem schwedischen Melodifestival zu verdanken: Seine Mutter trat 1985 als Sängerin auf und verliebte sich dort in einen der Tänzer, der somit Benjamins späterer Vater wurde –  der zweite Tänzer wurde sein Onkel.

Benjamin Ingrosso | © Marc Schulte

Ein leichter 3-Tage-Bart zierte heute sein sonst glattes Gesicht – keine schlechte Idee, bildet dies doch einen perfekten optischen Kontrast zur Akustik des Songs.

Montenegro

Blau glitzernd gewandet, mit vier Göttinen als Chor, tritt Vanja Radovanović mit dem Lied Inje (Raureif)  für Montenegro an. Normalerweise geraten die Pressekonferenzen des Balkans immer etwas hölzern und altbacken. Doch beim heutigen Meet&Greet eine große Überraschung: Vanja ist einer, der den Schalk im Nacken hat: Und so fängt er an, über die schlechte Leistung seiner Backing-Vocals zu schimpfen und dass er eigentlich nur beim ESC sei, weil ihm langweilig war. Und sein Lied war natürlich nicht das beste, aber, hej – es war in  Montenegro, er hatte die besseren Beziehungen – alles vorgetragen mit einem breitem Grinsen. Doch sobald er merkt, dass die Aussage vielleicht doch ernst genommen werden könnte, schaltet er um.

Nach über 30 Meet&Greets eine große Wohltat.

Vanja Radovanović mit Backing Vocals | © Marc Schulte
Slowenien

Viele empfinden den slowenischen Beitrag diesmal als „nervig“. Liegt es an der Stimme der Sängerin oder am Singen in der Landessprache, die kein Wiederkennen und Verstehen erlaubt? – Wir jedenfalls haben heute eine großartige Dancefloor-Nummer gesehen – perfekt gesungen und perfekt inszeniert.
Lea Sirk singt Hvala, ne!, das bedeutet „Nein, danke“: Verkauf nicht Deine Seele, glaub nicht alles, was man Dir anbietet, schalte Dein Denken ein!
Zu wissen, wann man nein sagen muss, davon handelt ihr Lied, so die Sängerin, die selbst einmal ein Angebot hatte, erste Flötistin in Finnland zu werden, das aber ablehnte, weil sie wusste, dass sie es auf Dauer dort nicht aushalten wollte.
Die Sängerin, die bereits 2014 und 2016 als Backing beim ESC dabei  war, strahlt eine unglaubliche positive Energie aus und erzählt lachend eine Episode: ihre vierjährige Tochter habe sie gefragt, warum denn nicht die andere Sängerin den slowenischen Vorentscheid gewonnen habe – die sei doch viel besser gewesen!

Lea Sirk | © Marc Schulte

Da müssen wir die Tochter leider korrigieren: Slowenien hat eine großartige Wahl getroffen: Guter Inhalt, gut verpackt in eine mitreißende Uptempo-Nummer, mit Stroboskop klasse in Szene gesetzt und dann noch eine perfekte Überraschung gegen Ende des Songs – das macht Laune.

Ukraine

Mit weißem Gesicht und umso strahlenderen unterschiedlich-farbigen Augen entsteigt Marilyn Manson einem Sarg, der sich als weißer Flügel entpuppt, auf dem er spielen wird, wenn er erst mal Stufen erklettert hat, die hinter ihm in Flammen aufgehen.
Ach nein – es ist nicht Manson, sondern der Ukrainer MELOVIN, der seinen Namen aus Halloween und dem Namen des britischen Designers Alexander McQueen zusammengesetzt hat. (Wie letzterer trägt auch Melovin eine farbige Kontaktlinse auf einem Augapfel).

MELOVIN | © Marc Schulte

Und mit MELOVIN haben wir einen ehemaligen Schauspielschüler, der jeden Auftritt von sich als Kunstwerk sieht und als einzige Angst die Angst hat, nicht auf die Bühne gehen zu können. Jede Bewegung, jede Gestik ist wohl überlegt – es bleibt die Frage, was ist echt, was ist gespielt.
Die Inszenierung für Lissabon stammt vom selben Produzenten, der Jamalas Staging 2016 entworfen hatte.
Das Feuer kannst nur du selbst entzünden, singt er in Under the Ladder – besser als in der ursprünglichen Präsentation des Songs, aber leider noch nicht perfekt – wie auch das Wetter sei, der Wind ist immer da und die Entscheidung muss fallen.  Tanze unter der Leiter!
Nicht gerade gleich selbst erschließend – weder Text noch Inszenierung, aber durchaus spannend.

 

Ab morgen dürfen wir dann zum ersten Mal in die Halle und den zweiten Probendurchlauf von dort verfolgen. Die Live-Berichterstattung von dort überlassen wir den personell besser aufgestellten Blogger-Kolleg*innen, werden aber natürlich über unsere Highlights berichten.
Die Big 5, die bereits im Finale gesetzt sind, folgen erst am Freitag mit ihren ersten Proben.
Stay tuned!

Hier dürfen wir morgen endlich rein: die Altice Arena | © Marc Schulte

 

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